Sowohl die Anzahl der dokumentierten Täter und Taten als auch die Art und Weise der Taten machen uns betroffen. Die im Gutachten aufgezeigte Doppelmoral der Täter ist erschreckend. Die Vertuschung von Straftaten durch Verantwortliche im Bistum Würzburg sowie vor allem die fehlende Empathie für die Betroffenen und ihrem Leid, sind eine schwere Verletzung der Pflichten zur Hirtensorge und stehen in einem krassen Widerspruch zur Heilsbotschaft des Evangeliums. Täter wurden geschützt und die Opferperspektive vernachlässigt, wenn nicht gar völlig ausgeblendet.
In diesen Tagen wird das Leid der Betroffenen offenbar, die Unsägliches und Ungesagtes erleiden mussten oder auch heute noch erleiden.
Unsere Kirche muss sich streng an jenen Kriterien messen lassen, mit denen sie sonst ihre sittlichen Überzeugungen vertritt, besonders wenn es um Sexualität geht. Die aufgedeckten Missbrauchsfälle führen die kirchliche Sexualmoral ad absurdum.
Wir sind sehr dankbar, dass das Würzburger Gutachten von der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs im Bistum Würzburg (UKAM) selbst in Auftrag gegeben sowie von dem unabhängigen Sachverständigen und Rechtsanwalt Prof. Dr. Hendrik Schneider aus Wiesbaden erstellt wurde. Damit wurde sichergestellt, dass Verantwortliche der Diözese keinen Einfluss auf das Ergebnis sowie die Veröffentlichung nehmen konnten.
Wir sehen, dass nicht nur Kleriker und kirchliche Mitarbeiter schuldig geworden sind, sondern ein ganzes System versagt hat, zu dem auch Pfarreimitglieder, Räte, kirchliche Verbände und sogar Familien von Betroffenen gehörten. Auch wir stellen uns dieser Schuld und wollen alles dafür tun, dass in Zukunft ein Systemversagen solchen Ausmaßes nicht mehr möglich ist. Übergriffe und Missbrauchstaten müssen bestmöglich verhindert werden und ihre Ahndung konsequent erfolgen.
In den Bereichen Prävention und Intervention ist in den vergangenen Jahren im Bistum Würzburg sehr viel passiert. Wir unterstützen die Bistumsleitung darin, dass sie diese entschlossen voranbringt. Es gilt nun, weitere Reformschritte mutig anzugehen. Dies erfordert auf Argumente zu hören, Macht zu teilen und mit gutem Beispiel durch einen Selbstverzicht institutioneller Macht voranzugehen.
Wir begrüßen ausdrücklich den von Bischof Dr. Franz Jung in den vergangenen Jahren konsequent eingeschlagenen Weg der Anerkennung erfahrenen Leids und der öffentlichen Versöhnung. Betroffene können, wenn sie dies wollen, mit kirchlichen Entscheidungsträgern über ihren erlittenen Missbrauch sprechen. Ihr Leid wird gehört und anerkannt.
Mit der Veröffentlichung der Missbrauchsstudie wurde hier ein weiterer Schritt gemacht. Der Prozess der öffentlichen Versöhnung beinhaltet die Benennung der Täter und der für die Vertuschung Verantwortlichen gegenüber den Betroffenen. Hierzu gehören für uns auch eine transparente und nachvollziehbare Kommunikation der Konsequenzen und Sanktionen für Täter und Verantwortliche, die Taten gedeckt, vertuscht und Aufarbeitung behindert haben.
Als spezifisches Strukturmerkmal das sexuellen Missbrauch begünstigt ist vor allem der Missbrauch von Macht und das problematische Verhältnis zur Sexualität erkennbar.
Es ist nun dringend geboten, sich damit zu befassen, Maßnahmen daraus abzuleiten und daraufhin notwendige Änderungen umzusetzen. Alle Strukturen und Verhaltensweisen, die solche Verbrechen ermöglichen und begünstigen, müssen tiefgreifend und nachhaltig verändert werden. Hierzu gehört für uns:
- Eine grundlegende Änderung des Verständnisses von Macht und deren Verteilung in der Kirche. Es braucht verbindliche Regeln auf Grundlage demokratischer Strukturen und dem Prinzip der Gewaltenteilung. Damit einher geht die Frage nach der Ausübung der Hirtensorge bzw. Leitung, die partizipativ und im Team wahrzunehmen ist.
- Bestehende Machtstrukturen kritisch zu überprüfen und zur Synodalität hin weiter zu entwickeln. Es müssen auf allen Ebenen partizipative Strukturen geschaffen werden, die dem Bischof, Pfarrern sowie Laienvertretungen ein gleichberechtigtes Entscheiden in wesentlichen Dingen des kirchlichen Lebens einräumen.
- Eine konkrete und schnelle Weiterentwicklung des Priesterbildes. Die bisherige Bindung an das männliche Geschlecht, oft mit einer geistigen Überhöhung des Verzichtes auf Sexualität legitimiert, hat versagt. Hierzu gehört
- die vollumfassende, gleichberechtigte Teilhabe von allen getauften und gefirmten Frauen und Männern – entsprechend ihrer Charismen – an den Sakramenten sowie an den Diensten und Ämtern der Kirche,
- sowie die Aufhebung des Pflichtzölibats.
- Eine Veränderung der kirchlichen Sexuallehre, die einen offenen Umgang mit Sexualität und lebendige, tragfähige Beziehungen ermöglicht.
- Eine kirchliche Anerkennung aller Formen der biologischen und psychischen Geschlechtlichkeit, die eine offene, angstfreie und gleichberechtigte Lebensweise im kirchlichen Kontext ermöglicht.
Ziel muss es dabei sein, größtmöglichen Schutz von Kindern, Jugendlichen und schutzbefohlenen Erwachsenen sicher zu stellen, in einem transparenten Prozess verlorenes Vertrauen wiederherzustellen und damit auch den bereits begonnenen Kulturwandel in unserem Bistum beschleunigt fortzuführen.
Als Gemeindemitglieder und Verantwortliche in den Räten und Verbänden sind wir in der Pflicht, unsere Erwartungen an Kleriker klar zu formulieren und uns mit ihnen über ihre Rolle zu verständigen, der sie auch gerecht werden können. Bestrebungen von Teilen der Gläubigen, die den Klerikalismus begünstigen, muss konsequent begegnet werden. Alle sind in der Pflicht vor Ort achtsam zu sein, um so wirksamen Schutz vor Missbrauch zu gewährleisten. Die vom Bistum Würzburg angebotenen Präventionsschulungen sind für uns dabei ein wichtiger Baustein, sie fördern und unterstützen die Sensibilisierung.
Wichtig ist uns, dass die Pfarreien in unserem Bistum im Umgang mit (neuen) Erkenntnissen über die Täter nicht alleine gelassen werden. Aufgabe der Bistumsleitung muss es hierbei nun sein, im offenen Dialog mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln Hilfe und Unterstützung zu leisten.
Die aus dem Gutachten hervorgehenden Empfehlungen zur Umsetzung von Maßnahmen zeigen auf, dass der eingeschlagene Weg konsequent fortgesetzt werden muss. Wir begrüßen die von der UKAM signalisierte Begleitung des Monitoringprozesses.
Damit Kirche sich weiterentwickelt und erneuert, bedarf es der Zusammenarbeit von Bistumsleitung, aller Haupt- und Ehrenamtlichen sowie Gläubigen in einem gleichberechtigten Miteinander mit der Haltung, gemeinsam für eine sichere Kirche zu arbeiten. Der Diözesanrat ist bereit, kritisch-konstruktiv seinen Beitrag zu leisten, um der Kirche als Ganzes wieder ein menschenfreundliches und lebensbejahendes Gesicht zu geben. Damit wollen wir glaubwürdige Zeugen für die Botschaft des Evangeliums sein und in der Kirche einen Schutzraum für alle Menschen bieten.